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Aus dem Tagebuch der Glückforscherin Dr. F. Reude

1. Oktober

Heute hätte ich es fast nicht mehr ausgehalten. Der Gedanke, dass Freude eine Chemikalie sein könnte, die ich einfach in mir finden muss – wie dumm. Aber irgendetwas an der Vorstellung ließ mich nicht los. Ich habe diesen Bericht über diese bunten, seltenen Vögel im Amazonas gelesen, diese seltsame Art mit den schillernden Federn. Vielleicht war es der Drang nach Farben, nach Lebendigkeit. Was habe ich schon zu verlieren?

 

5. Oktober

Ich kann kaum glauben, dass ich wirklich hier bin. Der Regen prasselt unaufhörlich, als hätte der Himmel beschlossen, mich zu ertränken. Nach all den Jahren in sterilen Laboren fühlt sich das echte Leben fast schmerzhaft an. Der Dschungel lebt, atmet. Hier, inmitten von wuchernden Pflanzen und unbekannten Geräuschen, ist alles so viel greifbarer – auch meine Angst. Was, wenn ich hier nichts finde? Oder schlimmer noch: Was, wenn ich es tatsächlich finde? Der Gedanke lässt mich nicht schlafen.

 

10. Oktober

Ich habe ihn gesehen. Den seltenen Vogel, die Farben – unbeschreiblich! Es war, als hätte ich ein Stück vom Regenbogen eingefangen. Seine Federn leuchteten, strahlten regelrecht. Ich wusste, dass ich es tun musste. Vorsichtig entnahm ich eine winzige Probe, als hätte ich ihm ein Stück seiner Seele gestohlen. Mein Herz raste. Was habe ich getan? Wenn jemand erfährt, dass ich hier bin …
Das Wasser trug mein Spiegelbild davon, und ich sah mich selbst, blass und zitternd, inmitten des Urwaldes, wie eine Einbrecherin in der Natur.

 

15. Oktober

Zurück im Labor. Die Stadt erschien mir wie eine graue Hülle nach den Farben des Dschungels. Es war spät, als ich die Probe untersuchte. Meine Hände zitterten, aber ich hielt durch. Und dann war es da: das Molekül. Ich hätte schreien können vor Aufregung. Doch stattdessen saß ich nur da und starrte auf die Struktur. Es war so einfach und doch so unfassbar. War das wirklich Freude, gefangen in einer chemischen Verbindung? Und wenn ja, was jetzt?

 

20. Oktober

Heute habe ich den ersten Test gemacht. Nur eine winzige Menge. Als ich es einnahm, fühlte es sich an, als würde ich für einen Moment den Boden unter den Füßen verlieren. Und dann kam die Freude, fast wie ein Stromschlag – heftig, überraschend, aber wunderschön. Es war, als ob die Farben des Dschungels plötzlich wieder lebendig wurden, diesmal explodierten sie jedoch direkt in meinem Kopf. Aber gleichzeitig beschlich mich ein Gefühl der Angst. Was, wenn das bekannt wird? Diese Freude, diese Energie, sie könnte die Welt verändern. Aber was, wenn sie in die falschen Hände gerät? Eine Ware wird? Nebenwirkungen hat?

 

25. Oktober

Heute habe ich verstanden, warum ich das niemandem zeigen kann. Der Gedanke, dass jemand diese Freude kontrollieren könnte, Menschen damit gefügig machen könnte – es ist widerlich. Depressionen und Ängste sind der Kitt, der diese Gesellschaft zusammenhält. Wie viele leben von der Dunkelheit anderer? Die Pharmaindustrie, die Politiker, die Medien – sie alle profitieren davon, dass wir ein bisschen Angst in uns tragen. Was, wenn ich ihnen die Dunkelheit nehme? Sie würden mich aufhalten, egal, was es kostet.

 

30. Oktober

Ich habe das Labor verriegelt und die Proben versteckt. Niemand darf wissen, was ich gefunden habe. Die bunten Vögel, sie sind selten – und das aus gutem Grund. Sie bewahren dieses Geheimnis seit Jahrtausenden. Vielleicht ist die Welt noch nicht bereit für echte Freude. Vielleicht bin ich es auch nicht.

Doch manchmal frage ich mich, ob ich nur meine eigene Angst vor der Freiheit beschwichtige. Was, wenn dieses Molekül die Antwort ist, die ich all die Jahre gesucht habe und die die Welt so dringend benötigt? Aber wie dieser Vogel, der seine bunten Federn in der Dunkelheit des Dschungels versteckt, werde auch ich mein Geheimnis hüten. Ich hoffe nur, dass die Welt eines Tages bereit sein wird. Bis dahin werde ich weiter forschen – und schweigen.